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Saarbrücker Schuhmanufaktur setzt auf Integration, Kreativität und Nachhaltigkeit
Saarbrücker Schuhmanufaktur setzt auf Integration, Kreativität und Nachhaltigkeit

(Artikel, erschienen im deutschen Handwerksblatt Nr. 8 vom 14.05.2021.)

Karin Herges und ihr Sohn Johannes sehen Kreativität und kulturelle Vielfalt als Unternehmenswert. Den modernen Führungsstil der beiden hat die Bertelsmann Stiftung prämiert. In ihrer Schuhmanufaktur wird die Lieblingslederjacke zum orthopädischen Maßschuh und mit digital gesteuerten Fräsen hält die Digitalisierung – Schritt für Schritt – Einzug ins Unternehmen.

VON UDO RAU

Fünf Nationalitäten und sechs Religionen sind bei uns vertreten und arbeiten friedlich miteinander. Wir waren 2018 für den Nationalen Integrationspreis nominiert. So gewinnt man Einblick in Leben und Denken anderer Kulturkreise, man lernt sich kennen und schätzen“, meint Geschäftsführerin Karin Herges.

Stolz sind Karin Herges und ihr Sohn Johannes Herges auf die berufl iche Entwicklung des Syrers Moneer Benshe. Er begann im Alter von 36 seine Ausbildung als Orthopädieschuhmacher und arbeitet jetzt nach bestandener Gesellenprüfung bei Herges. „Mit seiner Leistung bin ich sehr zufrieden“, so Johannes Herges, Diplom-Ingenieur für Technische Orthopädie, Maßschuhmacher und seit April 2019 alleiniger geschäftsführender Gesellschafter. Seine Mutter Karin Herges ist täglich mit am Ball und hat sich unter anderem mit ihren Ausstellungen „Handwerkskunst trifft Kunsthandwerk“ seit 2007 einen Namen gemacht. Einmal im Jahr – Corona hat 2020 die Tradition unterbrochen und dieses Jahr fällt die Vernissage leider ebenfalls aus – ziehen die Künstlerausstellungen neue Zielgruppen ins Haus und „so können wir unser Gewerk sichtbar machen. Unsere Mitarbeiter erleben die Werke von Künstlern etwa aus Keramik, Holz, Glas, Stoff oder Stein hautnah und lernen neue Formen der Kreativität kennen“, so Karin Herges. „Wir haben uns natürlich gefreut, dass unser Unternehmenskonzept durch den Preis der Bertelsmann Stiftung und des Zentralverbands des Deutschen Handwerks (ZDH) ausgezeichnet wurde. Das spornt uns an, unseren Weg weiterzugehen.“

Großes Aufsehen in der Branche erregte die Herges-Manufaktur mit ihren Upcycling-Schuhen, einem 2017 gestarteten, wegweisenden Nachhaltigkeitskonzept. Dabei werden aus gebrauchten Materialien neue, hochwertige orthopädische Maßschuhe angefertigt. Anstatt etwa Lederreste wegzuwerfen, bekommen sie in den UpcyclingSchuhen ein neues Leben – Upcycling ist ein Akronym aus „up“, nach oben, steht für Verwandlung, und Recycling eben für Wiederverwertung.

Aktuell umfasst das Programm acht bis zehn Modelle, darunter eine Städtekollektion mit den Motiven Paris, New York und Berlin, „was besonders Frauen gefällt“, so Karin Herges. Oder für einen Motorradfan, der nach einem Unfall nicht mehr Bike fahren konnte, wurde aus seiner Harley-Davidson-Lieblings-Lederjacke sein persönlicher, orthopädischer Maßschuh gefertigt. Neben dem Hauptstandbein Orthopädische Schuhe, das für rund achtzig Prozent der Schuhproduktion steht, werden auch noch hochwertige Maßschuhe für Damen und Herren angefertigt, die pro Paar zwischen 1.000 und 1.600 Euro kosten. Die Sparkassen-Finanzgruppe Saar hat das Schuh-Upcycling-Projekt von Herges im Rahmen des Wettbewerbs „Innovatives und kreatives Handwerk“ gemeinsam mit der Handwerkskammer des Saarlandes (HWK) im Oktober 2017 mit dem zweiten Preis ausgezeichnet.

Die orthopädischen Upcycling-Schuhe bringen Farbe und Kreativität für den Träger und setzen mit ihrem lebensbejahenden Design für die Träger ganz neue Akzente der Lebensfreude. „Für viele bedeutet das eine bessere Akzeptanz ihrer Behinderung und einen offenen Umgang damit“, so Karin Herges. Nachhaltige Materialien werden künftig in der Orthopädieschuhtechnik eine zunehmend größere Rolle spielen, meint Johannes Herges. So etwa nachhaltige Materialien für Schuheinlagen. „Unsere Branche wird künftig den Fokus mehr auf den schonenden und bewussten Umgang mit Ressourcen legen, wir stehen da noch am Anfang“, meint er.

Und natürlich hat auch die Digitalisierung längst Einzug in die Schuhmanufaktur gehalten etwa mit elektronisch gesteuerten Materialzuschnitten oder digital gesteuertem Fräsen. „Wir konstruieren Leisten, Schäfte und Einlagen am Computer, wir nutzen den Digitalscan und digitale Druckmessung für den Fuß.“ Derzeit entwickelt Herges in Kooperation mit der Saar-HTW (Hochschule für Technik und Wirtschaft) innerhalb eines EU-geförderten Projektes an der automatisierten Herstellung eines individuellen Sohlenaufbaus mit orthopädisch wirkender 3D-Struktur. Und wer sich für speziell Regionales aus dem HergesPortfolio interessiert, fi ndet den handgefertigten „Saarlandschlabbe“ aus hundert Prozent Wollfi lz mit der Applikation des Saarland-Umrisses auf der Oberseite.

Ausbildung ist für den 1935 in Saarbrücken gegründeten Betrieb ganz wichtig: Aktuell sind zwei Auszubildende für den Beruf des Orthopädieschuhmachers im Betrieb. „Wir suchen immer junge und motivierte Menschen für unsere Ausbildung. Es könnten mehr sein“, meint Herges. Daher hat er auch bei der Vorstellung seines Berufes im YouTube-Kanal der HWK des Saarlandes „Mach Dein Ding!“ mitgemacht.

AUSGEZEICHNET

Die Saarbrücker Schuhmanufaktur Johann Herges GmbH wurde Ende 2020 als einer der sechs Preisträger des Wettbewerbs „Mein gutes Beispiel“ ausgezeichnet. Bei Herges treffen umfassendes gesellschaftliches Engagement, Nachhaltigkeitsprojekte in der Schuhherstellung, neue Technologien sowie Vernetzung von Kunsthandwerk und Handwerk aufeinander.